Eine aufregende Wahlsaison geht zuende, zudem eine nicht sehr erfolgreiche für mich persönlich. Mal ein paar erste Gedanken im Nachhinein:
Bei den Vorwahlen blieb ich weitgehend auf der Strecke, glaubte sehr lange nicht an Trumps Sieg. Im Rückblick muss ich sagen: Hier wäre es besser gewesen, den Umfragen etwas mehr Vertrauen zu schenken, die Trump recht früh und konsistent in Führung sahen. Warum tat ich es nicht? Der entscheidende Grund war hier sicherlich die Erfahrung aus den vorangegangenen Vorwahlzyklen, insbesondere 2012: Kandidaten mit wenig seriöser Programmatik und dafür bombastischem Habitus standen damals in den Umfragen auch immer mal gut da (Cain, Gingrich), stolperten letztlich aber über ihre eigenen Widersprüche und den besser organisierten und finanziell potenteren Widerstand des Establishments. Trump schien mir einerseits gut in diese Schublade zu passen und andererseits wenig ansprechend für einen wichtigen Block wie die Evangelikalen, zu denen er mit seinem Lebenswandel und seinen Äußerungen kaum zu passen schien.
Das war natürlich falsch. Ich habe einerseits die Uneinigkeit und Unbeliebtheit eines republikanischen Establishments unterschätzt und andererseits nicht erkannt, wie weit der evangelikale Lebensentwurf inzwischen zur Fassade verkommen ist beziehungsweise von anderen Motiven überlagert wird. Desweiteren hätte einem auffallen können, dass die Mediendominanz und -strategie eines Trump einfach Früchte tragen kann: Wenn das Wahlvolk immer nur von Dir hört und dich jeden Tag im Kampf gegen die Medienmächtigen erlebt (Stichwort Kampf gegen eine angeblich arrogante "Political Correctness"), dann greifen fast schon Hollywoodmechanismen und du wirst zum Underdog, dem viele zujubeln.
Nach den Schlappen bei den Vorwahlen dann die eigentliche Wahlkampagne, und diesmal wollte ich zumindest einen Fehler aus den vorangegangenen Monaten nicht wiederholen und habe aufmerksam meine Demoskopen studiert. Gebracht hat es nichts, denn auch die lagen diesmal falsch: Clintons Führung schwankte über Monate zwar deutlich, aber letztlich lag sie im Umfragenschnitt fast immer vorn. Trotzdem war es auch hier der Blick auf die Lehren der Vergangenheit, der die Sicht verzerrte: Jahrelang wurde geschwärmt von der digitalen Revolution der Wahlkampfführung und dem Ground Game Obamas, durchaus zurecht. Dass Trumps mit Fettnäpfchen gepflasterter Chaoswahlkampf sowohl Clintons Vorsprung in den Umfragen als auch ihre überlegene Organisation schlagen würde und dazu noch die ständig neuen Details über Donalds Fehltritte - Vorwürfe der sexuellen Belästigung, ein Prozess zu massiven Betrugsvorwürfen im Zusammenhang mit der Trump University etwa - offenbar nur wenige potenzielle Wähler verschreckt haben, konnte ich mir nicht vorstellen, und auch im Rückblick frage ich mich, wie man das vor einer Woche hätte ahnen können, von einem ominösen Bauchgefühl mal abgesehen. Die Meldungen von einem starken Anstieg der Wahlbeteiligung der Latinos passte da noch gut ins Bild. Einem heutigen Bericht zufolge haben selbst Trumps Analysten ihm nur eine Siegeschance von 30% eingeräumt, das sagt schon einiges.Letztlich hat es für den Donald halt auch genau gepasst; viel besser hätte er seinen Stimmenanteil kaum verteilen können.
Letztlich waren die Wahlmärkte (mit Ausnahme der irgendwo ja korrelierenden Senats- und 538-Märkte) wohl gar nicht so desaströs für mich, rechne damit, bei den übrigen noch im Plus zu liegen. Das wird natürlich überschattet vom falschen Tipp in der wichtigsten Frage - nach dem Wahlsieger.
Rückblickend hadere ich also deutlich mehr mit meinen Vorwahlprognosen als mit denen der letzten Monate. Wie lief das amerikanische Wahljahr für Euch?
Mir ist aufgefallen, dass auf verschiedenen Internetseiten die Staaten Michigan und New Hamshire immer noch als nicht entschieden gelten obwohl sie zu 100% ausgezählt sind. In Michigan führt Trump und in New Hampshire Clinton mit je 0,3%. Muss hier wegen "To close to call" noch einmal nachgezählt werden? Aber bei Millionen von Stimmen müsste ja selbst 0,3% Vorsprung recht deutlich sein.
Weis da jemand mehr?
Ich rätsele immer noch, wie es passieren konnte, dass das undenkbare eingetreten ist. Musste es nicht jedem rational denkenden Amerikaner klar sein, dass Trump absolut ungeeignet für das Amt des Präsidenten ist? Müssten im Umkehrschluss dann nicht 47,5% der US-Bevölkerung komplett irrational sein? Wie kann es sein, dass 42% der Frauen und 29% der Latinos ihren schlimmsten Feind gewählt haben? Mag sein, dass die Clintons für Korruption stehen. Aber gibt es nicht genügend Staaten, die trotz ein wenig Korruption ganz gut funktionieren? Wenn man Trumps chaotische Wahlkampfführung betrachtet, muss man befürchten, dass Regierungsführung nicht gerade seine Stärke ist. Und wie kann man Trump als aufrichtiger einschätzen als Clinton, wenn 75% seiner im Wahlkampf gemachten Aussagen nachweislich falsch sind?
Der Hauptgrund für Trumps Wahlsieg muss wohl das Gefühl sein, es denen da oben mal so richtig gezeigt zu haben. Wenn fast alle Medien Clinton empfehlen, wenn die Eliten einschließlich des Präsidenten ihre Wahl als alternativlos darstellen und Hillary scheinbar über dem Gesetz steht, dann setzt eine Trotzreaktion ein und das gemeine Volks lässt seine Muskeln spielen. Kein Wunder, dass sich die AfD die Hände reibt ...
Persönlich ist es bei mir in den unterschiedlichen Märkten durchwachsen gelaufen. Im Hauptmarkt habe ich zu früh zu viele Clinton-Aktien gekauft. Die waren gegenüber dem Wahlergebnis zwar noch relativ günstig, aber man hätte sie nachher viel billiger haben können. Später habe ich dann aber Trump zu Spottpreisen erworben, was sich wiederum günstig ausgewirkt haben dürfte. Während ich in den Swing States-Märkten Trump zu tief verkauft habe, ist es dagegen im 538- und Senatsmarkt ganz gut gelaufen. Aber wie dem auch sei: ich hätte liebend gerne alle Märkte mit Totalverlusten abgeschlossen, wenn im Gegenzug eine halbwegs zurechnungsfähige Person US-Präsident geworden wäre.
NH wird von CNN bereits Clinton zugerechnet. Vorsprung: etwa 2.500 Stimmen.
In MI sind - ebenfalls laut CNN - bereits alle Wahlkreise zu 100 % ausgezählt. Allerdings scheint das finale Ergebnis noch offen, die Kandaten trennen aktuell knapp 12.000 Stimmen.
Ich würde mich über weitere Nachbetrachtungen freuen, aber hier schon mal ein Blick nach vorn. Wie könnte ein Präsident Trump regieren?
Possibility No. 1: Trump acts like he did during most of the campaign — constantly creating chaos and pursuing vendettas that distract him from his main work. [...]
Possibility No. 2: Trump will help the GOP Congress execute a brisk and rather traditional conservative policy revolution. [...]
Possibility No. 3: Trump remakes GOP in his image and aggressively pushes for populist policies. [...]
http://nymag.com/daily/intelligencer/2016/11/three-paths-the-trump-administratio n-can-take.html
Meine Vermutung: 2 > 1 > 3.
Vermutlich bekommen wir eine Mischung der oben genannten Optionen geboten, aber unterm Strich glaube ich, dass die zweite dominieren wird, mit einer gehörigen Dosis à la Punkt 1. Ich glaube kaum, dass Trump das Interese (oder die intellektuellen Fähigkeiten) hat, ernsthaft eine Richtungsänderung der GOP herbeizuführen; der Kongress wird versuchen, ihn mit dem ein oder anderen symbolischen Zugeständnis abzuspeisen und ihn ansonsten das Gefühl seiner Wichtigkeit genießen zu lassen.
Paul Ryan spricht bereits davon, Medicare zu "reformieren", das (ungemein beliebte) Programm sei dank Obamacare ja völlig abgewirtschaftet; ein Trump-Vertrauter deutete der Presse gegenüber an, lästige Verbraucherschutzbestimmungen müssten dringend einkassiert werden. Ich tippe darauf, dass die GOP jetzt versuchen wird, ihren ganzen Horrorkatalog möglichst zügig durchzupeitschen und darauf hofft, dass der Donald sich aufs Repräsentieren beschränkt. Ob das gelingt, wird natürlich auch davon abhängen, mit welchen Leuten Trump sich umgibt - ein weißer Nationalist wie Steve Bannon als Stabschef beispielsweise hätte vielleicht andere Vorstellungen von politischen Prioritäten.
Natürlich auch nicht zu vernachlässigen: die internationale Bühne. Hier hat der Präsident eine Menge Macht im Vergleich zur Innenpolitik, hier wird die Frage sein, wie Trump mit Provokationen oder Gesichtsverlust umgeht.
Die letzte, von Washington unabhängige Variable: Wie reagiert der siegestrunkene Teil der Trump-Koalition, der schon im Wahlkampf mit aggressiver Rhetorik aufgefallen ist? Beruhigen die sich einfach wieder und lassen die GOP-Eliten ihr neoliberalstes Programm durchziehen?
Ich bin optimistisch, vor allem, was die Außenpolitik betrifft. Es wird eine Zeit der Entspannung mit Russland geben, außerdem wird Trump an der Seite Israels stehen (vergleiche etwa die Rede https://youtu.be/2ZGgMJ3QDAQ). Ich erwarte auch positive Impulse für die Wirtschaft, siehe https://www.welt.de/wirtschaft/article159427145/Trump-im-Weissen-Haus-ist-gut-fu er-Deutschlands-Wirtschaft.html.
Ich bin optimistisch, vor allem, was die Außenpolitik betrifft. Es wird eine Zeit der Entspannung mit Russland geben
Zumindest so lange, wie Putin den Donald nicht verärgert. Aber das wurde ja früher hier schon diskutiert.
Ich erwarte auch positive Impulse für die Wirtschaft
Kurzfristig sicher: Deficit Spending plus Deregulierung ist immer für ein ordentliches Strohfeuer gut. Langfristig allerdings Gift.
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Das Team, das die Amtsübergabe vorbereitet, wird mittlerweile übrigens nicht mehr vom frühen Trump-Claquer Chris Christie geleitet, sondern von Mike Pence, zuverlässiger Fußsoldat der konservativen Revolution.
Den Sumpf Washington trockenlegen? Ach was, war doch nur Wahlkampf. Pences Team steckt voller Lobbyisten, insbesondere aus der Energiebranche.
http://talkingpointsmemo.com/livewire/trump-picks-lobbyists-to-drain-swamp-dc
Bin mal schwer gespannt, ob es der republikanischen Elite wirklich gelingt, die ungewöhnlicheren Figuren um Trump jetzt konsequent von der Macht fernzuhalten - seinen Wahlkampfchef etwa, der sich noch Hoffnungen auf das Amt des Stabschefs macht.
https://newrepublic.com/minutes/138677/white-nationalist-sympathizer-may-well-ru n-white-house
Sicherlich muss man es abwarten. Wenn Trump und Putin sich doch nicht verstehen, kann es Probleme geben. Die Wirtschaftsstrategie baut darauf, dass neue Arbeitsplätze entstehen; wenn letzteres nicht passiert, kann es Probleme geben.
Rückblickend hadere ich also deutlich mehr mit meinen Vorwahlprognosen als mit denen der letzten Monate. Wie lief das amerikanische Wahljahr für Euch?
Ich bin zufrieden.
Acht 1. Plätze bei den Primaries, deutlich im Plus bei den wichtigen Märkten zum 08.11.2016. Meinen 1. Platz im Senatsmarkt werde ich nicht halten. Ich besitze zu wenige REP-Aktien, aber keine einzige DEM-Aktie.
Dafür freue ich mich über erhebliche Gewinne an Echtgeldbörsen. Ich habe auf Trump gesetzt und mir an einem Markt sogar den Spaß gegönnt, ein wenig Kapital auf das Ereignis "mehr als 300 electoral votes für Trump" zu setzen. Angesichts einer exorbitanten Quote konnte ich nicht widerstehen. (Im Übrigen: meine kapitalbildenden Aufträge erfolgten alle unmittelbar im Anschluss an einen längeren Skype-Chat mit einem allseits bekannten User - er hat mich davon überzeugt, dass der Sieg von Clinton alles andere als sicher ist.)
Zur Wahfieberprognose:
538: Reden wir lieber nicht drüber und betrachten die Prognosefehleistung als Solidaritätsakt mit der gleichnamigen US-Plattform.
Popular Vote: Cintons Ergebnis in etwa getroffen, Trump unterschätzt, die Anderen überschätzt. Das WaFi-Team muss näher erläutern, von wem die Andere-Atkie im Vorfeld massiv manipuliert worden ist.
Senate: Zwei Senatswahlen gingen knapp zugunsten der Republkaner aus. Missouri und Pennsylvania. Ein anderer Ausgang war im Vorfeld durchaus denkbar.
Trumps Transition Team hat die Arbeit aufgenommen, der Donald allerdings verkriecht sich im New Yorker Trump Tower - wo er einem Bericht der New York Times zufolge auch in Zukunft möglichst viel Zeit verbringen will. Er habe seine Leute beauftragt, herauszufinden, wie viel Zeit er denn unbedingt im Weißen Haus verbringen müsse. Neben New York und dem Anwesen in Florida möchte Trump wohl auch weiterhin fleißig durch die Staaten reisen und vor seinen Fans auftreten.
Wenn vor dem Donald gewarnt wird, ist immer die Rede von seinem volatilen Temperament, aber die Tücken seiner Präsidentschaft sind noch ganz andere: Der Donald hat (ehemaligen) Vertrauten zufolge die Aufmerksamkeitsspanne eines Goldfischs, kann und mag sich einfach nicht auf gründliches Aktenstudium oder langwierige Briefings durch Experten einlassen. Chaos scheint vorprogrammiert, falls es den Konservativen um Ryan und Pence nicht bald gelingt, den Donald ruhigzustellen - soll er doch in Florida posieren und ihnen die Umsetzung ihrer langjährigen Wunschliste überlassen.
https://newrepublic.com/article/138655/donald-trump-evil-banality
In den nächsten Wochen und Monaten finden u.a. folgende Wahlen und Abstimmungen statt – zu allen Terminen werden (voraussichtlich) Märkte aufgesetzt:
(Hinweis: Links verweisen stets auf Wahlfieber.de - identischer Login)
1. Halbjahr
2. Halbjahr
So trägst du mit deinem Wissen zur Prognose bei » Mehr im Infocenter
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