„Ich bin der Vogel, den sein Nest beschmutzt“ – Karl Kraus zum 150.

  • „Ich bin der Vogel, den sein Nest beschmutzt“ – Karl Kraus zum 150.

    gruener (Luddit), 10.04.2024 22:22
    #1

    Am 28. April 1874 – vor 150 Jahren – wurde einer der großen Medienkritiker des 20. Jahrhunderts geboren. Der Versuch einer Erinnerung …

    „Als die Zeit Hand an sich legte, war er diese Hand.“(Bertolt Brecht)

    Frage:

    Wie darf man einen Menschen würdigen und gleichsam an ihn erinnern, der jeglichen Trubel um die eigene Person zeitlebens rigoros abgelehnt hat?
    Der einmal über sich und sein Wirken so passend schrieb:

    »Ich
    lese keine Manuskripte und keine Drucksachen,
    brauche keine Zeitungsausschnitte,
    interessiere mich für keine Zeitschriften,
    begehre keine Rezensionsexemplare und versende keine,
    bespreche keine Bücher, sondern werfe sie weg,
    prüfe keine Talente,
    gebe keine Autogramme,
    wünsche nicht besprochen, und nicht genannt, nicht nachgedruckt, propagiert oder verbreitet, weder aufgeführt noch vorgetragen zu werden, in keinem Katalog, in keiner Anthologie, in keinem Lexikon vorzukommen […]
    besuche keine Vorlesungen außer den eigenen […]
    verschließe mich jeder Zerstreuung, Einladung, Verständigung, Anregung,
    erteile keinen Rat und weiß keinen,
    mache keinen Besuch und empfange keinen,
    schreibe keinen Brief, will keinen lesen und
    verweise auf die völlige Aussichtslosigkeit jedes Versuchs, mich zu irgendeiner der hier angedeuteten oder wie immer beschaffenen, schon in ihrer Vorstellung meine Arbeit störenden, mein Mißbehagen an der Außenwelt mehrenden Verbindungen mit eben dieser bestimmen zu wollen, und habe nur noch die Bitte, die auf alle derlei Unternehmungen vergeudeten Porto- und sonstigen Kosten von jetzt an der Gesellschaft der Freunde Wien I, Singerstraße 16, zuzuwenden.«
    (Die Fackel Nr. 557–560, Januar 1921. S. 45f.)

    Antwort:

    Man beschränke sich auf die nüchternen Fakten – für all die Unwissenden – und lasse an- wie ausschließend –nebst einigen Zeitzeugen – die betreffende Person selbst zu Wort kommen. Schriftlich, mündlich und visuell. – Und selbst damit tut man ihm im Grunde eigentlich schon Unrecht…

    Nun, wo gehobelt wird, fallen bekanntlich ab und an Späne. Ein wenig widersetze ich mich also den Wünschen des „Meisters“, wenn ich ihn im April ausführlich würdige und zu Wort kommen lasse.
    Sei es ausnahmsweise drum. Ich wage diesen faux pas, in der Hoffnung, einige Leser für sein Werk (neu) begeistern zu können. Frei dem Motto: Ich bin nun der Vogel, der sein Nest beschmutzt.

    Die Vita in aller Kürze

    »Im Anfang war die Presse
    und dann erschien die Welt.
    Im eigenen Interesse
    hat sie sich uns gesellt.
    Nach unserer Vorbereitung
    sieht Gott, daß es gelingt,
    und so die Welt zur Zeitung
    er bringt […]«

    Karl Kraus (* 28. April 1874 in Gitschin, Böhmen, Österreich-Ungarn; † 12. Juni 1936 in Wien, Österreich) war ein österreichischer Schriftsteller, Publizist, Satiriker, Lyriker, Aphoristiker, Dramatiker, Förderer junger Autoren, Sprach-, Kultur- und Medienkritiker. Zum Hauptwerk von Kraus gehören das satirische Drama Die letzten Tage der Menschheit (1918) und die Zeitschrift Die Fackel, die er von 1899 bis 1936 auf etwa 15.000 Seiten herausgab.

    Der Nachruf

    „Als der Beredte sich entschuldigte
    Daß seine Stimme versage
    Trat das Schweigen vor den Richtertisch
    Nahm das Tuch vom Antlitz und
    Gab sich zu erkennen als Zeuge.“

    (Bertolt Brecht)

    Karl Kraus (1933)

    »Man frage nicht, was all die Zeit ich machte.
    Ich bleibe stumm;
    und sage nicht, warum.
    Und Stille gibt es, da die Erde krachte.
    Kein Wort, das traf;
    man spricht nur aus dem Schlaf.
    Und träumt von einer Sonne, welche lachte.
    Es geht vorbei;
    nachher war’s einerlei.
    Das Wort entschlief, als jene Welt erwachte.«

    (Die Fackel Nr. 888, Oktober 1933, S. 4.)

    Alfred Polgar (1936)
    https://www.youtube.com/watch?v=U58zhMFH9Z4

    ************************

    Ich erlaube mir, in den kommenden Tagen einige boshafte, zynische Aussagen von Karl Kraus hier zum Besten zu geben.

  • Karl Kraus zum 150. und in seinen eigenen Worten (1)

    gruener (Luddit), 10.04.2024 22:27, Antwort auf #1
    #2

    "Das Geheimnis des Agitators ist, sich so dumm zu machen, wie seine Zuhörer sind, damit sie glauben, sie seien so gescheit wie er."

    "Journalisten schreiben, weil sie nichts zu sagen haben, und haben etwas zu sagen, weil sie schreiben."

    "Es gibt kein unglücklicheres Wesen unter der Sonne als einen Fetischisten, der sich nach einem Frauenschuh sehnt und mit einem ganzen Weib vorlieb nehmen muß."

  • Karl Kraus zum 150. und in seinen eigenen Worten (2)

    gruener (Luddit), 11.04.2024 23:19, Antwort auf #2
    #3

    „Wenn die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst die Zwerge lange Schatten.“

    „Wie wird die Welt regiert und in den Krieg geführt? Diplomaten belügen Journalisten und glauben es, wenn sie's lesen.“

    „Herr, vergib ihnen, denn sie wissen, was sie tun!“

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